Fastenbrief der orth. Bischöfe Deutschlands 2011
Fastenbrief der orthodoxen Bischöfe Deutschlands 2011
„Und Gott machte den Menschen. Nach dem Bild Gottes machte er ihn.“
(Gen 1,27)
Liebe Väter, Brüder und Schwestern,
in diesen Wochen der Großen Fastenzeit, da wir uns auf das Fest der Feste“, die lichtstrahlende Auferstehung unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, vorbereiten, sind wir in ganz besonderer Weise aufgerufen, uns unserer hohen Würde als Geschöpfe Gottes bewusst zu werden. „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ fragt der Psalmist und über die Antwort auf diese immer wieder aktuelle Frage gilt es in diesen Tagen nachzudenken.
Die orthodoxe Sicht des Menschen und damit auch seiner Rechte und Pflichten basiert auf der Erkenntnis, dass der Mensch – jeder Mensch! – nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurde (Gen 1,27). Gleichzeitig wissen wir, dass um unseretwillen der Sohn Gottes Mensch geworden ist, für uns gelitten hat und gestorben ist – und uns durch seine Auferstehung als der „Erstgeborene der neuen Schöpfung“ den Weg zur Gemeinschaft mit dem Schöpfer neu eröffnet hat: „Gott wurde Mensch, damit der Mensch vergöttlicht würde“, wie es die Väter formulierten.
Der somit seinem ganzen Wesen nach gottbezogene Mensch wurde also aus Liebe geschaffen und ist Abbild der Liebe des dreifaltigen Gottes. Die Ebenbildlichkeit begründet damit auch die Gleichheit aller Menschen, denn jeder Mensch ist „Bild und Gleichnis“ Gottes, jedes Geschöpf steht in einer besonderen Beziehung zum Schöpfer – und dies erklärt auch seine Verpflichtung, den Willen Gottes zu tun: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden!“ (Lk 11,2) Wie es der Herr und Heiland selbst getan hat: „Nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe!“ (Lk 22, 42).
Die Ebenbildlichkeit ist für uns orthodoxe Christen auch die Grundlage jeder christlichen Ethik. Anders gesagt: die Tatsache, dass wir nach Gottes Bild geschaffen sind, ist nicht ein Ehrentitel, der uns unverbindlich verliehen wurde, sondern hat Konsequenzen für unser alltägliches Leben. Die orthodoxe Position kann immer nur ein entschiedenes JA zum Menschen sein, weil jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten und seiner gesellschaftlichen Stellung, ein Bild Gottes ist, in sich göttlichen Geist trägt, ein geliebtes Kind des himmlischen Vaters und Schöpfers ist und von daher seinen eigentlichen Wert hat.
Dies gilt es immer und überall in Erinnerung zu rufen, wo etwa das ungeborene Leben bedroht ist durch den Anspruch der Menschen, sich an Gottes Statt zum Herrscher über Leben und Tod einzusetzen, aber auch dort, wo Alte und Hilfslose aus der Gesellschaft ausgesondert werden oder wenn es um die Frage der perfider Weise so genannten „Sterbehilfe“ geht. Ja, sogar das Eintreten für die heutzutage so oft gefährdete Ehe und Familie ist für uns orthodoxe Christen untrennbar verbunden mit den Verpflichtungen und der Verantwortung des Menschen – der Verantwortung für die Mitwelt und gegenüber Gott, ihrem Schöpfer. Die Persönlichkeit, die ihre Interessen verwirklicht, ist berufen, sie mit den Interessen des Nächsten, der Familie, der Gesellschaft vor Ort, des Volkes und der ganzen Menschheit in Einklang zu bringen – aus Liebe zu Gott und den Nächsten: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften. Das andere aber ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Mk 12,30).
In diesem Sinne wünschen wir Euch, liebe orthodoxe Christen in Deutschland, eine gesegnete Fastenzeit, die uns hinführt zur Festfeier der Auferstehung unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus!
Für die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland:
+ Metropolit Augoustinos von Deutschland, Exarch von Zentraleuropa
Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland