Das Leben des Hl. Serafim
Der heilige Vater Serafim ist am 19. Juli 1759 in der Stadt Kursk geboren. Sein weltlicher Name war Prochor. Von seinen Kinder jähren an stand er unter dem Schutze der göttlichen Vorsehung. Im Alter von sieben Jahren stürzte er von einem hohen Kirchturm herab, blieb aber heil und unverletzt. Drei Jahre später wurde er von einer schweren Krankheit befallen. In dieser Zeit erschien dem Knaben die Mutter Gottes im Traum und versprach ihm Genesung. Er liebte es nicht, wie andere Knaben seines Alters, sich an Spielen zu beteiligen, blieb vielmehr für sich allein und las eifrig in der Heiligen Schrift und in den Heiligenleben. Besonders zog ihn der Gottesdienst an. Da er aus einer Kaufmannsfamilie stammte, sollte auch er diesen Beruf ausüben, aber er wehrte sich heftig dagegen. Später, als er schon Starez war, führte er oft in seinen Gesprächen Beispiele aus dem kaufmännischen Leben an, um seinen Schülern schwierige Stellen verständlicher zu machen. Das ist auf die Eindrücke aus dieser ersten kurzen Berufszeit zurückzuführen. Im tiefsten Innern verlangte ihn nach ganz andern Welten. Mit achtzehn Jahren verließ Prochor seine Mutter und begab sich auf die Pilgerschaft nach Kiew, wo alljährlich Tausende von Gläubigen die berühmten Höhlenklöster aufsuchten. Hier lebte in einer engen Höhle der Starez Dosifej, der die Sehergabe besaß. Auf den Knien bat ihn Prochor um den Segen für sein Mönchtum.
„Geh, mein Gotteskind” – sagte der Starez -, „in die Sarow-Einsiedelei und bleibe daselbst. Dieser Ort wird dir zur Rettung werden. Dort wirst du mit Gottes Hilfe deine irdische Wanderung beenden. Bemühe dich nur, das immer währende Gedenken Gottes zu erlangen, indem du unaufhörlich das Gebet wiederholst: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich Sünder!’ Halte fest an dieser Übung und sei wachsam: im Gehen und im Sitzen, beim Arbeiten und in der Kirche, auf jeder Stelle halte diesen Gedanken lebendig auf deinen Lippen und in deinem Herzen. In diesem Gebet findest du Ruhe, hier erwirbst du dir die Reinheit von Körper und Seele. Und der Heilige Geist, die Quelle alles Heils, wird auf dir ruhen und dein Leben in Heiligkeit bewahren!”
Nachdem der junge Prochor noch einmal vor den Gebei¬nen der Heiligen im Höhlenkloster zu Kiew gebetet hatte, begab er sich alsbald nach Sarow, um der Welt das „wunderbare Wunder” eines christlichen Lebens vorzuführen. In der noch jungen Sarow-Einsiedelei lebten die Mönche in strenger asketischer Zucht. Hier wirkten, wie bereits gesagt, der „einfältige” Starez Nazarij, der Starez Iosif und noch andere.
Als die ersten acht fahre vorüber waren, in denen Prochor in unterwürfigem Gehorsam unter der Führung des Starez Iosif heranreifte, wurde er in den Mönchsstand eingekleidet und bald danach zum Hierodiakon geweiht. Der Abt Pachomij, der um seinen flammenden („seraphischen”) Glauben wusste, gab ihm bei der Mönchsweihe den Namen Serafim. Aber noch kurz vor der Weihe erkrankte Serafim schwer an der Wassersucht und lag in hoffnungslosem Zustand danieder. Der Abt wollte nach einem Arzt schicken, aber der Kranke wehrte ihm und sagte: „Ich habe mich dem wahren Arzt der Seele und des Fleisches übergeben, dem Herrn und seiner Allerheiligsten Mutter. Wenn es Euch beliebt, so heilt mich Armen im Namen des Herrn mit der himmlischen Heilung.” Dann beichtete er und nahm das heilige Abendmahl. Viele Jahre später, kurz vor seinem Tode, erzählte Serafim einmal einem Mönch, dass er nach diesem Abendmahl eine Vision hatte: Die Allerheiligste Jungfrau Maria erschien ihm in einem überirdischen Licht; links und rechts neben ihr standen die Apostel Johannes und Petrus. Die Gottesmutter wendete sich zum Apostel Johannes und sagte: „Dieser ist aus unserm Stamm.” Darauf legte sie ihre rechte Hand auf den Kopf des Leidenden, und alsbald begann das Wasser, das seinen Leib füllte, durch eine Wunde in seiner rechten Seite abzufließen. Die Narbe dieser Wunde aber blieb für sein ganzes Leben als sichtbares Zeichen an seinem Leib.
Nach seiner Genesung versank Serafim lange Nächte hin-durch in tiefes Beten zur Mutter Gottes, die der Starez ganz besonders verehrte.
Als Hierodiakon verrichtete er fast täglich die Liturgie. Die übrige Zeit verbrachte er stehend in seiner Zelle mit dem Lesen der Heiligen Schrift und der Kirchenväter.
Zu dieser Zeit hatte er abermals eine Vision. Es war in der Karwoche, am Gründonnerstag bei der Frühliturgie. Wie immer zelebrierte der Abt Pachomij gemeinsam mit Serafim. In seiner Eigenschaft als Diakon trat Serafim vor das Königstor und rief aus: „Herr, errette die Frommen und erhöre uns!” Dabei sollte er, nach der Gottesdienstregel, auf die Anwesenden mit dem Orarion hinzeigen. Aber Serafim konnte seine Hand nicht mehr heben, der Ausdruck seines Gesichtes veränderte sich, er blieb stehen und brachte kein Wort über die Lippen. Alle verstanden, dass er eine Vision hatte. Zwei andere Hierodiakone nahmen ihn und führten ihn in den Altarraum.
Drei Stunden vermochte Serafim keinen Laut hervorzubringen. Als ihm die Sprache wiederkam, berichtete er demütig dem Abt: „Als ich Armer die Worte: „Herr, errette die Frommen und erhöre uns“ sprach und gerade das Orarion heben wollte, wurde ich plötzlich von einem Strahl beleuchtet, wie von einer Sonne. In diesem Licht schaute ich unsern Herrn Jesus Christus in menschlicher Gestalt, ganz in Licht und Glorie, von Engeln, Erzengeln, Cherubim und Seraphim umringt, wie von einem glänzenden Bienenschwarm. Der Herr schritt durch die Luft, von den westlichen Kirchentüren zur Empore, mit erhobenen Händen, und segnete die Priester und die Betenden. Dann ging er in seine Ikone ein, die rechts vom Königstor des Altars hängt, und verklärte sich. Ich, Staub und Erde, durfte den Herrn Jesus Christus schauen, ich bekam von ihm noch einen besonderen Segen, und mein Herz war ganz erfüllt von Süßigkeit und Liebe zu Gott!”
Der Bischof der Diözese, Feofil, der selbst ein strenger Asket und Förderer des Mönchtums war, hatte von dem frommen Leben des jungen Mönches gehört, und den Nutzen der Kirche bedenkend, ließ er Serafim am 2. September 1793 zum Hieromonach weihen. Auch in der Gnade des Priesterstandes führte Serafim sein Asketenleben in der bisherigen Weise fort. Erst mit dem Tode des alten Abtes Pachomij entschloss er sich, das Leben im Kloster aufzugeben und sich ganz in die Einsamkeit zurückzuziehen. An einem kalten Wintertag gegen Ende des Jahres 1794 verließ Serafim die Einsiedelei und wanderte mühsam durch den hohen Schnee in den Wald nach einer kleinen Hütte. Er nahm nichts mit sich als das Evangelium und die heiligen Gefäße für die Liturgie.
Es dauerte aber nicht lange, da stellten sich Leute ein, die, teils aus Neugierde, teils aus innerer Not getrieben, seine Einsamkeit störten. Auch Frauen waren darunter, die ihn öfters mit ihren Anliegen behelligten. Für Serafim kamen diese Besuche sehr unerwünscht, denn sie lenkten ihn von seinem Ziel ab, und so betete er mit aller Kraft um den Segen Gottes, die stille Abgeschiedenheit möge ihm erhalten bleiben, und erbat sich als Zeichen, dass er dieses Segens für würdig befunden sei, die Zweige der Tannen möchten sich zu seinem Schutze herunterbiegen. Am ersten Tag des Weihnachtsfestes begab er sich in die Klosterkirche, nahm das heilige Abendmahl und machte sich nach der Vesper wieder auf den Weg zurück. Da sah er, daß sich die Tannenzweige vor seiner Hütte tief herabgebogen hatten und den Durchgang des kleinen Pfades versperrten. Nun wusste er, dass ihm der Herr den Segen für sein neu begonnenes Leben erteilte, und dankte ihm auf den Knien für den wiederholten Beweis seiner Gnade. Am nächsten Morgen, dem zweiten Weihnachtstag, an dem die orthodoxe Kirche die Allerheiligste Gottesmutter feiert und preist, kam der Vater Serafim wieder zum Gottesdienst. Als das Cherubimlied beendet war, ging er demütig zu dem zelebrierenden Abt und sagte: „Vater Abt, gib den Segen, dass zu der Hütte, in der ich lebe, keine Frauen mehr kommen können.”
Der Abt antwortete streng: „Zu welcher Stunde und mit welcher Frage kommst du zu mir, Vater Serafim!”
„Gerade jetzt gib den Segen, Väterchen”, – bat Serafim beharrlich, aber demütig.
„Wie kann ich denn vom Kloster aus beobachten, ob Frauen deine Einsiedelei betreten?”
„Sprecht den Segen, Vater Abt, und keine wird sich meiner Hütte nähern!”
Der Abt nahm die Ikone der Allerheiligsten Gottesmutter „Seliger Leib”, die Ikone des Feiertags, und segnete damit Serafim: „So gebe ich den Segen, dass keine Frau zu deinem Hügel Zugang findet, du selbst aber wache!”
Serafim küßte die heilige Ikone und empfing wiederum die göttliche Speisung.
Nunmehr nahm sein Eremitenleben seinen eigentlichen Anfang. Der Einsiedler trug statt eines schwarzen Mönchskleides ein weißes Gewand, an den Füßen Bastschuhe und eine alte Kappe auf dem Kopf. Auf der Brust hing ihm ein von seiner Mutter gesegnetes Kreuz und auf dem Rücken ein Sack mit Steinen und dem Evangelium. Unter dem Hemd trug er auf der Brust einige Kreuze von Eisen, die wohl zusammen zwanzig Pfund wiegen mochten, und auf dem Rücken ebensolche von etwa acht Pfund, dazu um die Hüften noch einen eisernen Gürtel. Im Winter schlug er Holz im Walde für seinen Ofen, der aber bei der strengen Kälte seine Zelle nur notdürftig wärmte, im Sommer arbeitete er in dem kleinen Gemüsegarten, von dessen Ertrag er sich ernährte… „O einsames Leben! Heim der Lehren, Schule des himmlischen und göttlichen Verstehens, wo Gott alles ist, was wir lernen können. Einöde – Paradies der Süßigkeit, wo duftende Blumen der Liebe bald in feurigem Licht erglühen, bald in Schneereinheit glänzen; von euch kommt Friede und Ruhe. Tief drinnen verborgen, sind sie unbewegt von allen Winden.
Dort steigt der Weihrauch der Abtötung nicht nur des Fleisches auf, sondern, ruhmreicher noch, des Willens selbst, und das Rauchgefäß des immerwährenden Gebets, süß glühend, brennt unaufhörlich vom Feuer göttlicher Liebe!”
Mit diesen Worten des heiligen Basilius des Großen pries Serafim seine Einsamkeit. Bei allen seinen Verrichtungen sang er die Gebete, Psalmen und Troparien, von denen er viele auswendig wusste. Und besonders liebte er die Hymnen zur Ehre der Mutter Gottes. Täglich las er einige Kapitel aus dem Evangelium und den Apostelbriefen oder in den asketischen Schriften der heiligen Väter, die das einsame Leben verherrlichen. Von grundlegender Bedeutung für seine Askese blieb aber doch das Gebet. Seine Morgen- und Abendregel waren lang und vereinigten in sich Demut, Buße vor dem Herrn und den Preis seiner Herrlichkeit. Immer las er das Bußgebet des heiligen Ephräm des Syrers, das für die Fastenwochen vorgeschrieben ist:
„Herr und Gebieter meines Lebens, den Geist des Müßiggangs, des Kleinmuts, der Herrschsucht und Schwatzhaftigkeit gib mir nicht. Gib mir, deinem Knecht, hingegen den Geist der Keuschheit, Demut, Geduld und Liebe.
Ja, Herr, mein König, lass mich sehen meine Sünde, und laß mich nicht richten meinen Bruder, denn du bist hochgelobt in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen.”
Während der ersten Fastenwoche nahm Serafim keinerlei Speise zu sich, nur am Sonnabend nach dem heiligen Abendmahl aß er das geweihte Brot, die Prosphora. In seiner Stylitenzeit nährte er sich zwei Jahre hindurch nur von einer Art Feldzwiebel, im Sommer frisch, im Winter getrocknet und in Wasser gekocht.
Manchmal erzählte er anderen Starzen auch von den Versuchungen des Satans, wie er oft mitten in der Nacht, wenn er betete, sah, dass die Wände der Hütte verschwanden und wilde Tiere sich unter Brüllen auf ihn stürzten.
Ein Mönch fragte ihn einmal: „Väterchen Serafim, hast du die bösen Geister gesehen?”
„Schauerlich sind sie…” – sagte der Starez lächelnd. „Wie es dem Sünder nicht möglich ist, das Licht der Engel zu ertragen, so ist es auch furchtbar, die bösen Geister anzusehen.”
In diesen Jahren trug sich eine Begebenheit zu, mit der Gott ihm gab, die ganze Größe seiner Menschenliebe kundzutun. An einem Herbsttag des Jahres 1801 schlug Vater Serafim wie so oft Holz im Walde. Da traten drei Männer in der Kleidung von Bauern auf ihn zu und verlangten frech, er solle sein Geld herausgeben. Sie dachten nämlich, er habe solches von frommen Gläubigen genug. Die Antwort Serafims, dass er nichts besitze, machte die Männer nur böse, und einer von ihnen schlug ihm mit einer Axt mehrmals auf Kopf und Leib. Dem Starez drang das Blut aus Mund und Ohren, und er stürzte zu Boden. Obwohl er selbst ein Beil in den Händen hielt und kräftig genug war, um sich der Räuber zu wehren, wollte er ihnen doch nicht mit Gewalt Widerstand leisten. Die Männer durchsuchten seine Hütte und machten sich dann davon, ohne etwas gefunden zu haben.
Bis tief in die Nacht hinein lag der Starez bewusstlos auf der Erde. Früh am Morgen erschien er plötzlich, ganz mit Blut bedeckt, im Kloster beim Gottesdienst. Dem Verlangen des bestürzten Abtes, sich von einem Arzt behandeln zu lassen, fügte er sich aus Gehorsam. Aber vor Ermüdung und Schwäche infolge des starken Blutverlustes schlief Serafim ein, noch ehe die Ärzte kamen. Im Traum hatte er eine Erscheinung: Von der rechten Seite kam zu ihm die Mutter Gottes mit der Königskrone auf dem Haupt, links und rechts von ihr standen die Apostel Petrus und Johannes, wie damals in der ersten Vision. Die Himmelskönigin wandte sich seitwärts nach der Stelle hin, wo nachher die Ärzte standen, und sagte, auf den leidenden Serafim zeigend: „Was sorgt ihr?” Darauf sagte sie zu den Aposteln: „Dieser ist aus unserm Stamm!” – und in diesen Augenblick erwachte der Kranke. Niemand hatte bemerkt, dass er eine Vision gehabt hatte, wovon er erst viel später erzählte.
Der Abt bat ihn, sich den Ärzten zu zeigen. Doch Serafim weigerte sich und antwortete zur Verwunderung der Anwesenden, er wolle sich in die Hände Gottes und der Allerheiligsten Mutter Gottes geben… Vier Stunden lag der Starez in tiefer Schwäche, aber mit einer stillen Freude im Herzen, dann erhob er sich, aß zur Vesper ein wenig Brot und versank darauf im Gebet. Ein paar Wochen musste er noch in der Zelle bleiben, dann hatte seine kräftige Natur sich wieder erholt, aber von den schweren Verletzungen blieb seine hohe Gestalt für immer gekrümmt, und er konnte nur noch mit Hilfe eines Stockes gehen.
Nach fünf Monaten kehrte der Starez in seine einsame Hütte zurück. Bei seinem Abschied bat er den Abt, man möge die Verbrecher nicht bestrafen, indem er auf die Worte hinwies: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht können töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.” (Mt. 10,28)
Als ein Jahr später der Abt des Klosters starb und Serafim von den Mönchen von Sarow zu seinem Nachfolger gewählt wurde, lehnte er die Würde ab. Gleichzeitig aber nahm er eine neue asketische Übung auf sich: das Schweigen. „Am besten schmückt man sich mit Schweigen” -pflegte er zu den Besuchern zu sagen -, „denn der heilige Ambrosius von Mailand sagte, dass er wohl viele gesehen habe, die sich durch Schweigen, aber noch keinen, der sich durch seine Schwatzhaftigkeit gerettet hätte.”
Drei Jahre lebte der Starez in völligem Schweigen. Er sprach mit keinem, auch nicht mit den Mönchen, die ihm Brot brachten. Selbst sein Gesicht versuchte er zu verbergen und bedeckte es, wenn ihm jemand nahte.
„Wenn wir im Schweigen verbleiben” – erklärte er -, „kann der Feind, der Satan, dem Schweigenden nichts anhaben. Das Schweigen soll in Herz und Verstand sein. Es erzeugt in der Seele die verschiedenen Gaben des Geistes. Von Abgeschiedenheit und Schweigen kommen Rührung und Milde; diese letzte wirkt im menschlichen Herzen wie das „Wasser zu Siloa“ das stille gehet (Jes 8,6)’. Das Verbleiben in der Zelle, schweigend und übend, mit Gebet und Lesen der Heiligen Schrift Tag und Nacht macht den Menschen gottesfürchtig. Die Zelle des Mönches gleicht, wie die heiligen Väter sagen, dem Feuerofen von Babylon, worin drei Jünglinge den Sohn Gottes sahen. Das Schweigen bringt den Menschen Gott nahe und macht ihn einem irdischen Engel gleich. Du musst nur still in deiner Zelle wachsam und schweigend ausharren und mit allen Kräften zum Herrn hinstreben, und der Herr ist bereit, aus einem Menschen, der du bist, einen Engel zu bilden.”
Doch das Schweigen war nur eine Vorstufe zur hohen Askese. Am Abend des 8. Mai 1810 betrat Serafim zum ersten mal wieder das Kloster und begab sich sofort zum Abendgottesdienst; darauf ging er schweigend in seine Zelle. Am andern Morgen – es war der Tag des heiligen Nikolaus des Wundertäters – kam der Starez zur Frühliturgie, empfing nach dem Abendmahl den Segen des Abtes und kehrte in seine Zelle zurück, in der er sich einschloss.
So begann Serafim seine neue Übung: die Klausur. „
Jahraus, jahrein lebte er in einer ungeheizten Zelle, die nur durch ein ewiges Licht vor der Ikone der Gottesmutter schwach erhellt war. Anfangs schlief er nur in sitzender Stellung auf einem Scheit Holz, später in einem selbstgezimmerten Sarg, der ihm ständig den Tod vor Augen halten sollte. Sein Körper war wie in der Waldhütte mit Eisen beschwert; um noch mehr zu ermüden, schleppte er das Holz in der Zelle abwechselnd von einer Seite auf die andere.
Stehend oder auf den Knien betete er still in Gedanken und im Herzen; oft las er laut die Heilige Schrift, jeden Tag einen Evangelisten, die Apostelbriefe und die Apostelgeschichte. Die Nächte verbrachte er in tiefer Abgeschiedenheit von der Welt im Geistigen Gebet, im Nüchternsein und in der Bewahrung des Herzens. Damals hatte er viele
Visionen, von denen wir nur einzelne kennen. Alle Gottesdienste hielt er genau nach der vorgeschriebenen Regel selbst ab. An Sonn- und Festtagen nahm er das heilige Abendmahl, das ihm mit dem Segen des Abtes nach der Frühliturgie durch das Fensterchen in der Tür gereicht wurde. Er empfing niemand. Als der Diözesanbischof bei einer Besichtigung der Sarow-Einsiedelei an seine Zelle kam, blieb sie auch ihm verschlossen. Erst nach zehn Jahren erlaubte Serafim, dass seine Zelle betreten wurde und erteilte schweigend seinen Segen dazu. Nach weiteren fünf Jahren öffnete sich die Zelle wieder ganz. Fünfzehn und ein halb Jahre hatte die Klausur gedauert, die am 25. November 1825 endete. Jetzt begann sein Starzentum.
Die Außenwelt kam mit ihm wieder in Berührung; von nun an empfing der Starez alle seine Besucher mit gleich großer Liebe und Aufmerksamkeit. Ob arm oder reich, Bauer oder Adliger, Mann oder Frau wer zu ihm kam, wurde mit der gleichen Ehrerbietung aufgenommen. Beim Empfang trug Serafim einen weißen Mantel mit dem Epitrachelion und den Epimanikien zum Zeichen seiner Priesterwürde. Bei den Unterredungen und Belehrungen empfahl der Starez seinen Besuchern das regelmäßige Beten und besonders das immerwährende Gedenken Gottes und das Tun des Geistigen Gebets.
„Darin muss deine ganze Wachsamkeit bestehen”, belehrte er, „im Gehen und Sitzen, bei der Arbeit, in der Kirche vor dem Anfang des Gottesdienstes bewahre dieses Gebet in der Seele und im Herzen. Im Anrufen des Namens Gottes findest du Ruhe, Reinigung von Seele und Leib, und der Heilige Geist, die Quelle alles Heils, wird auf dir ruhen und dich in Gottesfurcht und Reinheit erhalten.”
Und oft legte der Starez nach der Unterredung sein Epitrachelion auf den Kopf des Beichtenden, sprach das Entlassungsgebet aus, salbte ihm kreuzförmig die Stirn mit dem Öl aus dem ewigen Licht, gab ihm geweihtes Wasser zu trinken und küsste ihn zum Abschied mit den Worten des Ostergrußes: „Christus ist auferstanden, du meine Freude!”
Die letzten acht Jahre seines gesegneten Lebens, in denen der Vater Serafim als Starez wirkte, waren ein einziges großes frommes Liebeswerk.
Bereits am frühen Vormittag, nach der Frühliturgie, bei der Serafim mit den heiligen Gaben die lebenspendenden Geistkräfte in sich aufgenommen hatte, drängten sich die Scharen der Besucher vor seiner Tür. Viele erzählten, wenn sie von ihren Gesprächen mit dem Starez berichteten, dass seine Worte in ihrer Seele einen völligen Umschwung hervorgerufen hätten, daß sie Herz und Verstand, die gewöhnlich im Streite lagen, miteinander versöhnt und ihr ganzes Leben überhaupt in ein neues Licht getaucht hätten. Zahlreiche Freunde und Anhänger aus allen Teilen des Landes, denen es nicht vergönnt war, seine Hütte zu betreten, baten schriftlich um seinen Rat, und Serafim erteilte seine Unterweisungen oftmals, ohne überhaupt die Briefe erbrochen zu haben, wie man später feststellte: denn nach seinem Tode fand man eine Menge ungeöffneter Briefe in seiner Zelle, die alle lange beantwortet waren. „Du nimmst viel zu viel Leute an, ohne einen Unterschied zu machen” – sagten etliche alte Mönche etwas missgünstig.
„Wie könnte ich es vor dem Herrn verantworten, wenn die nach Unterweisung Dürstenden ungestillt von meiner Zelle fortgehen müssten?” antwortete ihnen der Heilige.
„Einige ärgern sich aber über dich”, sagten die Neider.
„Nun, ich ärgere mich darüber nicht, dass viele Nutzen ziehen und einige wenige sich ärgern.”
Das Wirken des Vaters Serafim während der letzten acht Jahre bis zu seinem Tode kann man schon nicht mehr nur das eines Starez nennen. Er hatte die Grenzen dieser Welt selbstlosester Liebestätigkeit, der er sein Leben geweiht hatte, längst überschritten. Er war ein Gerechter, der Hüter eines unsagbaren Geheimnisses, der eine Brücke schlug vom Irdischen zum Jenseitigen.
Für die Gläubigen war er schon kein Mensch mehr, sondern ein Heiliger, der nur aus Liebe zu den sündigen Menschen noch im körperlichen Dasein verblieb. Und als sie sahen, daß sich der heilige Starez zur ewigen Glückseligkeit vorbereitete, empfanden sie keine Trauer darüber, sondern eine Freude über aller irdischen Freude, und ein zuversichtlicher Glaube war in ihnen, nun einen neuen Fürbitter vor dem Thron Gottes zu haben. Denn für sie bedeutete sein Tod keinen Abschluß, kein Ende, war doch die heilige Kraft, die zu seinen Lebenszeiten sich in überreichem Maße kundtat, in gleicher Weise auch jetzt noch sichtbarlich am Werk, indem sie den Bekümmerten und Kranken, die sich im Gebet hilfesuchend an den Gerechten wandten, sich in zahlreichen Wundertaten offenbarte. Mehr als ein halbes Jahrhundert hatte der Heilige zur Ehre Gottes gewirkt. Er war nun 72 Jahre alt. Seine irdischen Kräfte, die er verschwenderisch hingegeben hatte, fingen an, langsam zu erlöschen. Er selbst fühlte ein Jahr vor seinem Tode bereits ihr starkes Schwinden. Nur sein Geist erglühte noch in gleicher inbrünstiger Liebe zu Gott. Der Starez blieb von nun an öfters im Kloster, ging kaum noch nach seiner Wald¬hütte und hielt sich sehr zurück, da er sich durch die vielen Besuche äußerst beschwert fühlte. Nur den Kranken half er gern und heilte auch noch viele von ihnen. Mehrmals kün¬dete er sein nahe bevorstehendes Ende an.
„Ich bin schwach geworden; jetzt müsst ihr ohne mich leben.” Er brauchte notwendig diese kurze Zeit, die ihm noch zur Verfügung stand, um allein vor dem Angesicht Gottes zu verweilen. Die meisten Stunden verbrachte er im Gebet. Mit leuchtendem Antlitz und erhobenen Händen war er in stilles wortloses Beten versunken. Seine Augen waren in eine andere Welt gerichtet.
„Welche Freude, welches Entzücken ergreift die Seele, wenn nach der Trennung vom Leibe die Engel ihr entgegengehen und sie dem Angesicht Gottes darbringen … Wenn ich gestorben bin, kommt zu meinem kleinen Grab! Kommt nur, wenn ihr Zeit habt, und je öfters, desto besser. Alles, was euch auf der Seele lastet, wenn es euch nicht gut geht oder ihr etwas habt, das euch betrübt – kommt zu mir und bringt euren Kummer mit an mein kleines Grab. Fallt zur Erde nieder und erzählt mir alles wie einem Lebenden, und ich werde euch hören, und dann wird euer Kummer schnell verflogen und ganz vorüber sein! Für euch lebe ich noch und werde ewiglich leben”, sprach der heilige Starez.
Am ersten Tag des Jahres 1833, einem Sonntag, wohnte er zum letztenmal der Liturgie bei. In der Zelle sang er den ganzen Tag über die Osterhymnen; dreimal ging er an den Platz, den er für sein Grab bestimmt hatte. Am nächsten Morgen, zur Zeit der Frühliturgie, fand man ihn in seiner Zelle vor der Ikone der Mutter Gottes „Rührung” auf den Knien liegend, die Arme über der Brust gekreuzt, mit leuchtendem Angesicht. Die Augen waren geschlossen, als sei er tief im Gebet versunken. .Der heilige Serafim war in das ewige Leben eingegangen.
Mit der Kirche beten wir: „Der du von Jugend auf in Christo lebtest, o Seliger, und von dem einzigen Wunsche beseelt warst, ihm, dem Einigen, zu dienen, in Mühen und unablässigem Gebet, der du in Einsamkeiten wirktest und gerührten Herzens die Liebe Christi erworben hast, du wurdest zum geliebten Auserwählten der Mutter Gottes. Darum, so flehen wir zu dir: errette uns durch deine Gebete, heiliger Vater Serafim!