das Leben des Paisij
Paisij stammt aus einer Priesterfamilie. Geboren im Jahre 1722 in der kleinrussischen Stadt Poltawa, kam er bereits in frühen Jugendjahren in enge Berührung mit dem kirchlichen Leben. Nach den Vorschriften jener Zeit begann er sein Studium mit Lesen des Psalters und der Stundenbücher. Aber schon bald genügten ihm die überlieferten Bildungsformen nicht mehr. Er schloß sich von seiner Umgebung ab und vertiefte sich nun in die Heilige Schrift und in die Werke der heiligen Väter. In seiner jungen Seele erwachte das Verlangen nach Weltentsagung und Annahme des „engelgleichen Mönchstandes”. Er liebte das Schweigen, so wird von ihm berichtet, in einem Maße, daß selbst seine Mutter nur selten sich mit ihm unterhalten konnte. Er war sanft und von ausgeglichenem Gemüt, sehr schamhaft und scheu, nicht nur vor Fremden, sondern auch vor den eigenen Angehörigen.
Nach dem Tode seines ältesten Bruders – er zählte damals erst dreizehn Jahre – wurde er durch Vermittlung des Erzbischofs von Kiew in die Kiewer Schule aufgenommen. Während der vier Jahre seines dortigen Aufenthalts zeigte er sich als ein fleißiger und begabter Schüler, fand jedoch wenig innere Befriedigung. Im Stillen festigte sich in ihm mehr und mehr die Neigung zum Mönchtum. Mit einigen gleichgesinnten Mitschülern träumte er in nächtlichen Gesprächen, die sie in Verstecken oft bis in die frühen Morgenstunden miteinander führten, von weiten Pilgerfahrten nach Jerusalem, nach dem heiligen Berg Athos, wo die christliche Askese in ihrer wahren Schönheit blühte, nach dem Sinai-Gebirge und den Wüsten Ägyptens, deren geistige Luft er aus den Schriften Ephrams des Syrers und den ägyptischen Heiligenleben tief in sein Herz aufgenommen hatte. „Denn der Herr”, so sagt seine Lebensbeschreibung, „gab ihm schon in der Jugend Weisheit, Demut und das Greisenalter der Vernunft.” Und so schlich er sich eines Nachts heimlich aus der Schule, verließ die Stadt Kiew und begab sich auf die Wanderschaft, einem Pilger gleich, der seine Himmelsheimat sucht.
Das Schicksal führte ihn zunächst zum Ljubetsch-Kloster, unweit der Stadt Ljubetsch am Flusse Dnjepr. Der Abt empfing ihn freundlich, nahm ihn auf in die Gemeinschaft der Brüder, wies ihm eine Zelle an und bestimmte ihm die Zellenarbeit.
Paisij fühlte eine tiefe Dankbarkeit und Freude in sich aufsteigen, als er täglich sehen durfte, mit welcher Liebe die Brüder ihrem geistlichen Vater zugetan waren, der sie mit der ganzen Güte und Weisheit seines verantwortungsvollen Amtes führte. Drei Monate vergingen so im Frieden dienender Gemeinschaft, als mit der Ernennung eines neuen Abtes, der eine starre und herrschsüchtige Natur war, das ganze Klosterleben mit einem Schlage sich veränderte. Angst und Bestürzung erfasste die Brüder, einige flüchteten, und auch für Paisij wurde das Leben mit jeder Stunde schwerer zu ertragen. In einer Winternacht ging er zum Flusse und floh über das Eis auf das jenseitige Ufer.
Und wieder wanderte er durch die weiten Steppen nach Süden und stand eines Tages vor den Mauern des Klosters des heiligen Nikolaus, das auf einer Insel inmitten des Flusses Tjasmin liegt, bereits auf moldawischem Gebiet. Man nahm ihn auf seine Bitten hin auf. Wieder verrichtete er gehorsam die ihm übertragenen Arbeiten und widmete sich mit solchem Eifer dem Klosterdienst, dass ihn einige Zeit später der Abt am Tage der Verklärung des Herrn zum
Mönch weihte und ihm den Namen Piaton gab. Er war damals 19 Jahre alt.
Hier in der Abgeschiedenheit von Tjasmin durfte seine Seele ausruhen und langsam heranreifen; da brachten äußere Ereignisse, die Verfolgung durch die Unierten, eine unerwartete Wendung. Die Kirchen wurden geschlossen und die Brüder aus dem Kloster vertrieben. Jetzt führte ihn sein Weg wieder zurück nach Kiew. In der Druckerei der Petscherskaja-Lawra fand er Aufnahme und Beschäftigung, und dort erlernte er die Kunst, Ikonen in Kupfer zu stechen.
Aber immerfort brannte in ihm der Wunsch und das Verlangen nach einem Einsiedlerleben in Stille und Zurückgezogenheit, unter der geistigen Führung eines Starez, dem er sich anvertrauen konnte auf dem schweren Weg der asketischen Schulung. Als eines Tages zwei Mönche eine Pilgerfahrt antraten, schloss er sich ihnen an und erreichte nach langer Wanderung durch die Ukraine und die Moldau die Walachei, mit der Absicht, sich von da weiter nach dem Athos zu begeben. Eine Zeitlang blieb er zunächst in Treisteny, dem Skit des heiligen Nikolaus des Wundertäters, und später in Kerkul, das berühmt ist wegen seiner Schönheit und der Fülle und Fruchtbarkeit seines Bodens. Unter der Führung der erfahrenen Starzen Wasilij und Onufrij sowie dem väterlichen Beistand von Feodosij, dem Abte des Klosters Kerkul, schritt er schnell voran, und bald hatte er das wahre Schweigen der Mönche erlernt, „die Mutter der Buße und des Gebets”, wie es der heilige Isaak nennt.
Drei Jahre oder wenig mehr brachte Paisij in der Walachei zu, und während dieser Zeit machte er sich die Sprache des Landes zu eigen, denn er trug sich mit der Hoffnung, später einmal die Schriften der heiligen Väter ins Moldawische zu übersetzen.
Da kam der Tag, da ihm sein sehnlichster Wunsch, den heiligen Berg Athos zu betreten, in Erfüllung gehen sollte. Er war jetzt 24 Jahre alt, als er mit einem anderen Mönch, dem Hieromonach Trifon, unter dem Segen der Väter seines Skit sich auf die Wanderschaft begab. Es war der bedeutungsvollste Augenblick seines Lebens, als endlich nach mancherlei Fährnissen und Entbehrungen, die die beschwerliche Reise zu Lande und auf dem Meer mit sich brachte, der Athos vor ihm lag und er eine Weile später mit seinem Reisegenossen das Schiff verließ und zur Lawra des heiligen Athanasius emporstieg.
Paisij erhielt in der Nähe des Klosters ein Kellion als Wohnraum zugewiesen. Um ihn her lebten in völliger Armut, Entsagung und schweigender Versenkung die Mönche und Väter, die bereits einen höheren Grad in der asketischen Schulung erreicht hatten. Auf seiner Suche nach einem geistlichen Vater ging er von einem zum andern, um ihnen seine Dienste anzubieten. „Aber Gott fügte es”, so berichtet die Vita, „daß er das, was er suchte, nicht fand. Da überließ er sich der göttlichen Vorsehung und blieb fortan einsam.”
„Wer könnte aber von all seinen Kämpfen berichten”, heißt es weiter, „als er, allein vor dem Einigen Gott, im glühenden Eifer um seiner Seele Vollkommenheit rang. Er lud auf sich Not und Entbehrung, Fasten und Dürsten, Zerknirschung und Selbstanklage. Wie viele Seufzer und Bitten drangen nicht unter Tränen aus der Tiefe seines Herzens! Welch ein Ringen mit Zorn, Unzucht und Hochmut, die den zu Gott sich hinwendenden Verstand befallen, welches Kämpfen gegen Mutlosigkeit, das so furchtbar ist für den Schweigenden, und böse Leidenschaften! Welche Versu¬chungen an Seele und Leib, denen er widerstand, welche Erbärmlichkeiten, Schwächen und Leiden, die er überwinden musste! Dazu kamen noch Zweifel aller Art, Wankelmut und Hoffnungslosigkeit gegenüber dem Umstellt werden von teuflischen Ränken, und der schwere und grausame Streit der Gedanken. Aber das alles besiegte der junge Mönch, sich mit seiner ganzen Liebe an Gott hängend, mit Hilfe des Herrn. Wie viel Dankgebete schickte er nicht für diesen Sieg aus befreitem Herzen zu Gott Christus empor!”
Fast drei Jahre vergingen so in glücklicher Abgeschiedenheit und fruchtbarem Stillschweigen. „Jeder Tag bedeutete für ihn eine höhere Stufe, die er emporstieg, brennend vor Verlangen nach neuen Kämpfen und den Feuer tau des Gottglühens genießend.” Um diese Zeit kam auf den Athos der bereits vordem erwähnte Hieromonach Starez Wasilij aus der Walachei, und als er mit tiefer innerer Freude gewahr wurde, welche Entwicklung das Leben des jungen Gottsuchers genommen hatte, bekleidete er ihn mit der Mantia des Mönches und gab ihm den Namen Paisij.
Weitere vier Jahre waren dahingegangen. Da kamen einige junge Mönche zu ihm und baten ihn, sie in seine Führung zu nehmen. Es waren Brüder, die der moldawischen wie auch der slawischen Sprache angehörten. Da ein großer Mangel an Priestern und Beichtvätern war, nahm Paisij auf ihr inständiges Bitten nach langem Zögern die Priesterweihe an.
Nun erbat er sich vom Protos der Lawra ein altes, leerstehendes Kellion, das des heiligen Propheten Elias, nicht weit vom Pantokrator-Kloster, und erbaute eine Kirche, ein Refektorium und sechzig Zellen. Die Verehrung und Liebe, die ihm von allen Seiten entgegengebracht wurden, waren so groß, dass seine Gemeinde von Tag zu Tag wuchs. Bald reichten die Räumlichkeiten nicht mehr aus, man lebte in großer Enge und Dürftigkeit zusammen. Paisij erwog, ob es nicht besser sei, nach der Walachei zurückzukehren und dort in den Bergen ein neues Kloster zu errichten, und so fuhr er bald darauf mit sechzig Brüdern nach Konstantinopel und Galatz und begab sich von dort nach der Walachei. Als er aber keinen für ihn passenden Ort fand, ging er nach Jassy und erhielt von dem Metropoliten der Moldau das Kloster zur Verfügung gestellt, das sich nennt: Das Herabsteigen des Heiligen Geistes [Dragomirna].
Hier führte Vater Paisij, der nun auch die Schimantia angenommen hatte, nach der Regel der heiligen Väter Basilius des Großen und Theodors von Studion das Koinobiten leben ein. Für den Gottesdienst bestimmte er die Regel, wie sie auf dem Athos gebräuchlich war. Der Chorgesang in der Kirche wird geteilt: die rechte Hälfte für die kirchenslawische, die linke für die moldawische Sprache. Kein Bruder darf irgendeinen Gegenstand als „mein” oder „dein” bezeichnen, alles ist, als von Gott gegeben, gemeinsam. Das Essen wird gemeinschaftlich eingenommen, nur Kranke und Gebrechliche können sich ausschließen. Alle Arbeit im Kloster wird von den Mönchen selber getan, nach besten Kräften und mit der gebührenden Ehrfurcht vor Gott. Die gemeinsame Arbeit soll jeglichen Ungehorsam, Widerspruch und Eigenwillen, wodurch die göttlichen Gebote zunichte gemacht würden, aus den Seelen der Brüder vertreiben.) Denn vor allen Tugenden, wie Gehorsam, Demut, Geduld, Güte, Friedfertigkeit, hat an erster Stelle die völlige Lossagung von jedem eigenen Wollen und jeder eigenen Meinung zu stehen. Mit dem „Schweigen auf dem Mund und dem Gebet im Herzen” tut jeder seine Pflicht, dient dem Abte und seinen Brüdern in immer gleicher Bereitwilligkeit und Liebe. In seiner Zelle liest er in der Heiligen Schrift und in den Werken der Väter und betet unter Tränen und Kniefall zu Christus und seiner Allerreinsten Mutter, die von den Ikonen auf ihn herabschauen und ihm Kraft schenken. Wer schon fortgeschritten ist, verrichtet nach dem Segen des Starez das Gebet mit dem Geist im Herzen. Allabendlich sollen sich die Neulinge zur Beichte beim Starez einfinden.
An den Abenden, zwischen den Gottesdiensten, versammelten sich die Brüder mit brennenden Kerzen im Refektorium, der Starez kam und las neben den Unterweisungen entweder aus den „Asketischen Worten” des heiligen Basilius oder aus dem heiligen Theodor von Studion oder dem heiligen Symeon dem Neuen Theologen vor. Am einen Abend wurden die Unterweisungen kirchenslawisch, am andern moldawisch gesprochen. Und während der Vorlesung in der einen Sprache lasen derweil die Brüder der andern den Akathistos in der Kirche.
So baute sich das Leben der Mönche auf unter der Führung des Vaters Paisij, dessen Starzentum im Kloster Dragomirna seine ganz besondere Entwicklung nahm. In allen asketischen Tugenden war er selbst ein nie ermüdendes Vorbild, oft griff er in den gemeinsamen Klosterdienst mit ein, indem er immer wieder sagte: Brüder, niemand darf müßig sein, denn vom Müßiggang geht alles Böse aus. Die langen Herbst- und Winternächte arbeitete er gemeinsam mit zwei Brüdern, die der griechischen Sprache kundig waren, an der Übertragung der Schriften der heiligen Väter ins Moldawische und Altslawische. Es war nämlich sein ganzer Wunsch, „den aus dem Munde der heiligen Väter fließenden Honig” sammeln und dem mönchischen Nachwuchs übergeben zu können. So entstand die kirchenslawische Übersetzung der „Philokalia”, die später mit Unterstützung des Metropoliten von Petersburg, Gavriil, gedruckt wurde.
In langen Jahren friedlicher Arbeit entwickelte sich dieses Gemeinschaftsleben zu einer bedeutenden Höhe, bis eines Tages politische Geschehnisse grundlegende Veränderungen für das Kloster und die Geschicke der Brüder mit sich brachten. Im Jahre 1774 war nach sechsjähriger Dauer der Krieg zwischen Russland und der Ottomanischen Pforte beendet worden. Durch den Friedensschluss kam ein Teil der moldawischen Länder an Österreich, darunter auch das Gebiet, worin das Dragomirna-Kloster lag. Der Starez, der in ernster Sorge um die Zukunft seiner Bruderschaft war, bat den Metropoliten, ihm das Sekul-Kloster anzuweisen, das zu dem Teil der Moldau gehörte, der bei den Türken verblieben war. Er hatte nämlich einen Brief von dem Abt des Klosters erhalten, der ihn samt seinen Brüdern zu sich einlud. Er bekam die Erlaubnis hierzu, und schon nach kurzer Zeit hatte sich die Zahl der Brüder derart vermehrt, daß das Sekul-Kloster zu klein wurde.
Nach schweren inneren Kämpfen entschloss er sich, mit einem Teil der Mönche nach dem großen Njametz-Kloster, zwei Stunden von Sekul entfernt, das ihm als Wirkungsstätte bestimmt worden war, überzusiedeln. Nun hatte er beide Klöster in Verwaltung. Bald entstand in Njametz ein neues Krankenhaus, Zellen für die Brüder wurden gebaut und die Speisung und Unterbringung der Pilger und Armen neu geregelt. Immer mehr wuchs die Gemeinde. An vier hundert Brüder waren in Njametz und in Sekul weitere hundert.
Ein zweites Mal, während des zweiten Russisch-Türki¬schen Krieges (1786-90), erlebten der Starez und seine Schüler schwere Tage. Gerade zu dieser Zeit wurde Paisij die Würde eines Archimandriten verliehen. In seinem Innern blieb der Starez von dieser Ehrung unberührt, in Einfachheit und Demut leitete er wie zuvor seine beiden Klöster und widmete sich tagsüber den Verwaltungsgeschäften und der Sorge um seine geistlichen Kinder. Und in den Nächten arbeitete er noch immer an den Übersetzungen, um sie zu Ende zu bringen. Man sah ihn oft, wie er bei brennender Kerze auf seiner Lagerstatt saß, ganz zusammengekrümmt wie ein kleines Kind, ringsum Haufen von Büchern in verschiedenen Sprachen, und wie er so die ganze Nacht hindurch schrieb. Seine Vita berichtet von Wahrgesichten, die er hatte. Mehr als einmal sagte er Dinge voraus, die in Erfüllung gingen. Seine Wundertaten und Heilungen erhöhten noch das Ansehen und die Verehrung, die der Starez bis in sein höchstes Alter weithin genoß.
Sein frommes, wirkungsreiches Leben endete im Jahre 1794, als er am 15. November zweiundsiebzigjährig die Augen schloß.
Wie einst alljährlich am Tage der Himmelfahrt des Herrn, wenn die wundertätige Ikone der Allerheiligsten Gottesmutter die Menge der Gläubigen herbeizog, so strömten auch jetzt, als die Kunde von seinem Tode sich schnell verbreitete, die Menschen in Scharen von überall her und aus allen Schichten der Bevölkerung nach dem Kloster, um ihren Vater noch einmal zu sehen. Zu seinen Lebzeiten war tagelang die Tür seiner Zelle für jedermann offen gestanden, alle Besucher hatte er in unermüdlicher Bereitschaft und voll Teilnahme für ihre mannigfachen Sorgen und Nöte empfangen, allen hatte er mit seinen Ratschlägen und Belehrungen ein gütiges Verstehen entgegengebracht. Jetzt kam noch einmal die ganze Liebe und ehrfürchtige Verbundenheit mit dem Entschlafenen zum Ausdruck, als man mit einem letzten Dank von seiner sterblichen Hülle Abschied nahm.
Am vierten Tage nach seinem Heimgang fand in der Hauptkirche des Njametz-Klosters in Gegenwart der gesamten Bruderschaft die feierliche Beisetzung statt.
Beide Klöster, in denen Paisij als Abt wie als Starez tätig war, entwickelten sich zu einer bedeutenden Schule asketischen Lebens. Und nicht nur in ihrem näheren Umkreis, sondern bis in weit entfernt liegende Gegenden war der Einfluß des Starez und die Wirkung seiner Tätigkeit wahrzunehmen. Durch sein Leben auf dem Athos und seine Beziehung zum wiedererwachenden Mönchtum erneuerte Paisij jene geistige und asketische Verwandtschaft, die immer zwischen dem russischen religiösen Leben und dem Athos bestanden hatte. Auch aus diesem Grunde ist sein Wirken für das russische Mönchswesen und das Starzentum so groß und bedeutungsvoll.